Es wird diesem Film nicht ansatzweise gerecht, ihn im Entferntesten mit einem billigen Wortwitz in Verbindung zu bringen. Einfach mal komplett und ganz und gar nicht.Aber was soll ich sagen, mein Vater hat mir die absurde Neigung vererbt, und die kommt gerne im unpassendsten Kontext zum Vorschein. (Und man muss mir zugute halten, dass der Name besonders geeignet ist, oder?)
Es beginnt schon mit einem Paukenschlag. Der Vorspann ist unterlegt mit in Slowmotion tanzenden Frauen, mit nichts bekleidet als den Accessoires, die man gängigerweise mit amerikanischen Marching Bands verbindet: Schärpe, Stab und hoher Hut.
Das Besondere an diesen Funkenmariechen ist ihre fast schon groteske Fettleibigkeit, die durch die Zeitlupe zum Einen noch besonders hervorgehoben wird, aber zum Anderen entgegen aller Erwartungen wie durch Zauberhand eine unfassbare Ästhetik ausstrahlt. Es ist zweifelsohne ein Meister des Schönen am Werk, der durch detailverliebte Bilder eine ganze Welt auf den Kopf stellen kann. Die Frauen wirken glücklich und frei, jeglicher Zwänge entledigt. Umso härter der Übergang auf die eigentlich bestichend gutsaussehende Protagonistin Susan (Amy Adams), die trotz perfekt sitzendem Abendkleid und einwandfreien Makeup plötzlich seltsam verhärmt und irgendwie gefangen wirkt.
Man wird in drei Erzählebenen entführt.
In der aktuellen dringen wir in Susans Alltag ein, der jenseits allen Glamours von Kunstgalerie, Ehemann und Wohnräumen doch zutiefst durchsetzt von Kälte ist, visuell, zwischenmenschlich, emotional. Sie wirkt verloren, als wäre sie all dessen müde. Was regietechnisch haarscharf an der Klischeegrenze langschlittert funktioniert trotzdem ausgesprochen gut. Das Element, das diese unheile Welt ins Wanken bringt, ist ein Manuskript, das Susans Ex-Gatte ihr mit Widmung zukommen lässt. Sie beginnt zu lesen, und….
Schnitt! In die fiktive Story des Buchs mit dem Titel „Nocturnal Animals“ (der Kosename des Autors für seine damalige Angetraute). Darin wird von einer Autofahrt berichtet, die Familienvater Tony Hastings (Jake Gyllenhaal) mitsamt Frau (Isla Fischer, deren Ähnlichkeit mit Amy Adams einen tatsächlich schier aus der Bahn wirft) und Tochter direkt in ein grausames Schicksal führt.
Die letzte Ebene schliesslich beleuchtet den Beginn der Beziehung von Susan und besagstem Schreiberling-Exmann Edward Sheffield (huch, da ist ja schon wieder Gyllenhaal?). Damit verbunden wird die Frage nach Talent, Anerkennung, Lebensentwurf, Kompatibilität, Kunst und Liebe gestellt. Nichts weniger als das.
Die Schauspieler sind unglaublich. Allen voran Jake Gyllenhaal, für den ich schon seit geraumer Zeit blind in Filmvorstellungen gehe. Eine solche minimalistische und kluge Darstellungen würde einer Oscarvergabe wieder die Glaubwürdigkeit zurückgeben, die ihr abhanden kommt, seitdem man sich die Verleihung nur durch übermäßig harte physische Drehumstände erschleichen kann. Aber auch Amy Adams spielt sich mit jedem Film weiter in mein Herz, und das war nach „Julie & Julia“ ein steiniger Weg. Nicht zu vergessen Aaron Taylor-Johnson, der einen in eine schwindelerrengende Achterbahn der Gefühle zieht.
Den nächsten Preis darf es für Makeup und Beleuchtung geben. Allein durch diese Elemente vermag man in Sekundenschnelle zu sagen, in welchem Zeitkontinuum man sich befindet.
Die Qualität dieses Filmes zeigt sich auch in seinem Nachhall. Nach und nach sieht man immer klarer. Und ich meine wirklich nach und nach: Tage später entdecke ich Interpretationsansätze, es fühlt sich bei aller Grausamkeit an wie eine Schnitzeljagd. Im Gesagten, im Implizierten, in den Requisiten, in den Farben, in der Beleuchtung, überall lassen sich Elemente finden. Und diese wortlose visuelle Kommunikation, Fords Spiel mit den Möglichkeiten die das Medium Kino bietet ist umso angenehmer für den Zuschauer, als er sich in seiner Intelligenz ernstgenommen fühlt. Darin findet sich der einzige Aspekt, der darauf schliessen lässt, das Tom Ford trotz seiner grandiosen Produktionsintuition noch nicht allzu lange dabei ist: er zieht seine Zuschauer durch schiere Freude am Spiel und nicht durch Manipulation in den Bann. Und das wirkt viel tiefer. So bin ich innerhalb weniger Tage vom Gefühl eines sehr guten Thrillers à la Hitchcock zum Urteil „kleines Meisterwerk“ gelangt. Wenn der Reifeprozess weiter bei dem Verlauf bleibt, wird „Nocturnal Animals“ in einer Woche zum Klassiker in der Kinemathek meines Herzen geadelt werden.